Vor Siracusa in der Früh geht schon einer übers Meer. Manche Sportarten gleichen globalen Wellen.
Doch es gibt Zuschauer, die sich von der Paddelei wie vom Kuttergetucker nicht berühren lassen. Morgens um sechs Uhr erklimmen sie die Festungsmauer und führen ein langes Gespräch.
Modica liegt wie hingestreut, die Häuser wie an die Hänge der Schlucht geklebt.
Die Stadt ist berühmt für ihre salzige Schokolade.
Noto. Barock pur.
Der Schrein des Patrons von Noto, San Corrado Confalonieri, in der Schlucht Cava del Carosello.
Monreale, die Kathedrale. Zusammenwirken der normannischen, arabischen und byzantinischen Kunst (auch die folgenden Bilder).
Außerhalb des sakralen Kunstdenkmals ist Monreale eine unspektakuläre Kleinstadt, die Alltagsbilder von erheblicher Normalität offenbart, wie sie eigentlich überall an den Wallfahrtsorten der Kunst oder Religion, abseits der gehypten Reiseziele erlebbar sind.
Monreale
Warten auf die heißen Esskastanien. Es sind kleine Röstöfen, auf denen die Maroni zubereitet werden; sie stehen im Herbst an vielen Straßenecken. Salzig riechender Dampf steigt auf ...
Palermo ist den Routen der Flüchtlinge über das Meer nah. Der Bürgermeister sagt: Alle, die hier wohnen, sind Palermitaner. Es geht also auch unverkrampft.
Die sehr merkwürdige Einfahrt einer (ehemaligen) Autowaschanlage offenbart einen pragmatischeren Umgang mit Autos als heutzutage. Keine automatisierte Waschstraße, eher ein Arbeitsplatz.
Der Ballarò-Markt.
Palermo. Street Art
Egal wo du bist, dein Bildschirm ist immer der gleiche.
Mitternacht in der Stadt. Vielleicht kam sie gerade von der Arbeit. Aß eine Handvoll Streetfood und telefonierte. Schien ratlos. Oder skeptisch.
Ebenfalls um Mitternacht in Palermo.
Der 1. Mai ein Feiertag? Er soll es nicht nur sein, er muss es sein. Doch manchen ist er ein Dorn im Gehirn, ein Widerhaken im Herz, ein Stachel in der niederträchtigen Gesinnung. 1947 lässt ein gedungener Bandit auf eine Versammlung von Landarbeitern schießen. Wieder geht es um eine der überfälligen Landreformen. Wieder setzen sich Mafia und Großgrundbesitzer durch. Die durch die Bluttat eingeschüchterte Bevölkerung traut sich nicht mehr diejenigen zu wählen, die ihnen das Land geben wollen. Die Folgen: Landflucht, Auswanderung und Perspektivlosigkeit. Erst heute ändern sich die Verhältnisse. Eine Kooperative bewirtschaftet der ›ehren‹werten Gesellschaft enteignetes Land und ein grandioser Skulpturengarten auf der »Passhöhe Portella della Ginestra« hält die Erinnerung an das Massaker aufrecht, bewahrt das Andenken an die Toten. Der Agriturismo gleichen Namens liegt um die Ecke. »Libera Terra!« Dorthin lasst uns einkehren ...!
In Ragusa zieht sich der Stadtteil »Superiore« den Berg hinauf. Hier ist das Leben auf der Straße nur eingeschränkt möglich. Dafür ist die Aussicht phänomenal. Ibla liegt unterhalb.
Was des einen Annäherung an Ragusa ist des anderen Abschied
Das Abendessen tags zuvor war schwer und verdiente nicht unbedingt Lob. Selbst Schuld, warum mussten wir auch dorthin, wo nur vorlaute Filmkulissen Zeugnis des Besonderen ablegen. Jedenfalls — ein Blick aus dem Fenster zeigt Regen. Ein Schritt auf den Balkon lässt sonniges Streulicht erahnen. Also los. Erst mittags wird es sonnig. Dazwischen ist Fotolicht.
Auch Tage später narrt uns das Wetter. Eigentlich hasten und ziehen wir tagelang zwischen den Wahrscheinlichkeiten des Regens und des Sonnenscheins durch die Landschaften der Stadt und der Iblei-Hügel, die Vorstellungen, die das Licht gibt, genießend. Kurz vor der Rückkehr ins Hotel öffnet die westliche Kalkflanke ihren Vorhang.
Ragusa Ibla. Ocker-beige-graue Torte in Barock.
Ragusa Ibla ist eine Komposition
Verbrannt, verschimmelt, bemalt? Leider versäumte ich, die richtigen zu fragen, die wissen, weshalb sich das Haus in solch morbider Fassadenfarbe präsentiert. Die anderen zuckten die Schulter. Dabei ist das Schwarz genausowenig ein Schwarz wie das Schwarz der Lava andernorts. Schwarz kann tief schimmern, kann sich in einem Farbreigen finden. Das Schwarz dieses Hauses allerdings ist dumpf, wirkt wie eine spröde Haut, wie ein alter, abgetragener Mantel. Mich hat es in Abstand gehalten, nachdem ich mit den Fingern über sein Mauerwerk strich. Ich fand keine Erklärung, so seltsam wirkte seine Tönung.
Die Farbe der Nacht ist gelb und schwarz — und das Haus fügt sich.
Auch der zusammengestauchte Wolkenkratzer an der Auffahrt nach Ragusa Superiore gibt Rätsel auf. Warum um alles auf der Welt darf in der Straßenkehre nur die reduzierte Version eines Bauwerks in den Himmel ragen? Ist es der Stadt angemessen? Es steht am steilen Hang und von der Ferne betrachtet fügt es sich ins Ensemble. Wurden ihm, als aus der einst wohl engen gepflasterten Straße eine nur wenig breitere Asphaltpiste wurde, Gebäudeteile abgetragen? Oder war es eine kleine Behausung und wuchs nur im gestatteten Ausmaß? Wenn ich wieder in Ragusa bin, werde ich mich an die Fragen nach dem schwarzen und diesem schmalen Haus erinnern und um Antworten bitten.
Nochmals Ragusa Superiore, Via Giordano Bruno. »Una Madre Siciliana«. Die Darstellung einer Mutter mit zwei Kindern wurde 2019 vom australischen Künstler Guido Van Helten geschaffen. Das Wandbild entstand anlässlich des 40. Geburtstags der »Associazione Volontari Italiani del Sangue« (AVIS), Italiens führender gemeinnütziger Blutspendeorganisation.
Warum sehen wir das? Ragusa ist eine der wichtigsten Kunststädte Süditaliens. Die Stadt ist voll von spektakulären Wandmalereien. Vieles davon ist das Vermächtnis von »FestiWall«, einem Straßenkunstfestival, das von 2015 bis 2019 jährlich in Ragusa stattfand.
Kehllaute, Obertöne, Falsett, Lockrufe, Anpreisung. Wer sich dem Markt in Siracusa Ortigia nähert und zum Meeresgetier stößt, hört die bisweilen schrille, pfeifende, rasselnde, singende Stimme dieses Fischhändlers, mit dem er Marktbesucher auf seinen Stand lenkt.
Meeresfrüchte
Siracusa
Siracusa
Letzter Reisetag. Ein Abschiedsgewitter zieht auf. Zurück ins Hotel! Buch und Gepäck liegen noch auf der Terrasse.
Zunächst scheint es, der Himmel täuschte nur an. Bald fallen die Tropfen auf den Lungomare, auf das ›Solarium‹ des Hotels »Gutkowski«, auf das Open-Air-Wohnzimmer, auf den Ort, über dem nachts die Sterne funkeln — ein Platzregen halt, wie wir ihn früher nur im Süden gewohnt waren ...
Lieblingshotel, danke dafür, dass der Abschied leichter wird. Denn die dunklen Wolken hast du doch arrangiert, oder?
Marzamemi
Auf dem Land in der Mitte der Insel
Monti Iblei