WACKERLAND Eine Revue mit Bildern und Anmerkungen
Wie die Oberpfalz Austragungsort unerfüllbarer politischer Wünsche wurde
Im August 1980 erschien die Regensburger Zeitung ›Die Woche‹ mit der Schlagzeile: »Gorleben bei Regensburg?« Der Hintergrundbericht legte nahe, dass die Bayerische Staatsregierung die Oberpfalz als Raum für eine atomare Wiederaufbereitungsanlage ausgesucht hatte.
Frühere Pläne für Gorleben waren am Widerstand der dortigen Bevölkerung gescheitert. In Bayern sollte das Projekt möglich sein. Die politischen Spitzen des Freistaats betrachteten sich als durchsetzungsfähig, von der Bevölkerung erwartete man sich zumindest eine Duldung des Vorhabens, wenn nicht Begeisterung. Im November 1981, nach langem Hinhalten, wurde mit dem Landkreis Schwandorf auch die Örtlichkeit festgelegt. In einem zügigen Erkundungsverfahren schälte sich eine Fläche nahe der Gemeinde Wackersdorf heraus. Die WAA sollte im Taxöldener Forst entstehen. Man sah es in München als eine Art Geschenk an die industriegewohnte Einwohnerschaft und Ausgleich für den eingestellten Braunkohleabbau.
Von Anfang an jedoch wuchs eine starke Widerstandsbewegung, Bürgerinitiativen gründeten sich, Demonstrationen fanden statt. Während des Jahrzehnts, in dem an der Realisierung des Vorhabens gearbeitet wurde, veränderte sich die Oberpfalz. Am Ende war die Abwehr erfolgreich, denn 1989 verkündete die Bayerische Staatsregierung das Aus für Wackersdorf als Atomstandort.
Der Widerstand brachte Menschen zusammen, die sich bis dahin fremd waren und verbündete andere, die solche gemeinsamen Aktivitäten suchten. Er sorgte jedoch auch für eine Trennung der Gesellschaft in Gegner und Befürworter und ein Riss ging oftmals quer durch Familien, Verwandtschaften und Freundeskreise. In weit über die Region vernehmbaren und manchmal doch nur leisen Wellen entstand das Amalgam einer Bürgerschaft, das sich politisch, sozial und kulturell neu definierte.
Vor der Verkündung der Pläne war die Region eher unpolitisch gewesen.
Demonstriert wurde höchstens am Maifeiertag. Oder wenn die Prozessionen von Wallfahrenden über das Land zogen. Oder wenn Bauern gegen die Milchpreise protestierten.
Aber, dass Menschen wie Sie und ich ihr Unbehagen, ihre Angst, ihren Widerstand ausdrückten, gegen das, was kommen sollte, war einigermaßen neu.
Ebenso wie die »Baumpatenschaften« für den Erhalt des Waldes und gegen die bevorstehende Rodung des Taxöldener Forstes ...
(im Bild: Helmut Wilhelm)
... als Willi und Peter, Sepp und Fritz, Cordula und Yvonne, Kathie und Lisi sich zu Heimatschützer*innen ausriefen. Einen Wald vor der Rodung und gegen ein Bauprojekt zu schützen war neu.
Demonstrationen wurden nun zu häufigen Ereignissen. Nicht nur in Regensburg, am 14. November 1981
auch in Wackersdorf
oder in Schwandorf
und wieder in Regensburg. Großdemonstration auf der Steinernen Brücke Anfang September 1982.
Es stellte sich heraus, dass ›die Politik‹ in München sich für die WAA einsetzen mochte, aber gegen den Wegfall der vielen Arbeitsplätze im Traditionsunternehmen Maxhütte seltsam mundfaul war. Das rief die Gewerkschaften auf den Plan: »Maxhütte ja — WAA nein« war eine neue Parole und Betriebsratsvorsitzende sprachen bei Kundgebungen. (im Bild: Albert Vetter, IG Metall)
Zwischenzeitlich (März 1983) ziehen die Grünen in den Deutschen Bundestag ein.
Der Taxöldener Forst als Biotop der Auflehnung und Verweigerung gegenüber den Plänen des Staates. Eine Fraktion des Widerstands war, enstprechend der Glaubensauffassungen vieler Menschen in der Oberpfalz, christlich geprägt. Das Franziskus-Marterl zog jeden Sonntagnachmittag nicht nur die sog. »Marterlgemeinde« an, das umgebende Areal war Ausgangspunkt für Aktionen des bürgerlichen Ungehorsams. Der Waldweg zwischen dem Marterl und dem Kruzifix eines anderen Andachtsortes, des »Roten Kreuzes«, bildete die Achse, auf der ebenso kontinuierlich wie die Andachten fast ein ganzes Jahrzehnt lang Demonstrationen in Form von »Waldspaziergängen« abgehalten wurden.
Der Protest war vielschichtig und vielfarbig. Am »Roten Kreuz« feierte der Bund Naturschutz-Vorsitzende Hubert Weinzierl am 03.12.1985 seinen 50. Geburtstag.
Der Bäcker und Konditor Anton Süß aus Waldkirchen buk eine fünfstöckige Torte, neben zahlreichen Gästen war auch Landrat Hans Schuierer gekommen und beglückwünschte den Jubilar.
Wenige Tage später wurde es Ernst. Die Rodungen und damit die ersten Baumaßnahmen begannen, der Widerstand musste nach neuen Formen suchen. Demonstrationen, Gebete, Plakate, Reden und Anhörungen hatten die Pläne nicht aufhalten können.
Auf einer der gerodeten Flächen wurde ein Hüttendorf errichtet: Wackerland.
Das Hüttendorf schuf sich eine zwar primitive, doch ausreichende Infrastruktur. Es kamen viele, viele Besucher*innen, die sehen wollten, wie die von CSU so titulierten »Chaoten« aussehen.
Der Terminus ›Chaot‹ wurde von den Befürwortern gerne verwandt. Die Diffamierungen konnten nicht verhindern, dass das Band zwischen denen, die aktiv waren und denen, sie sich »nur« solidarisierten, eng war und ...
... das Hüttendorf auf großzügige Weise von der Bevölkerung versorgt wurde.
(im Bild der gerade Lebensmittel liefernde Landwirt Josef Fischer)
Neben allen guten Geistern wachte auch die Christusfigur am Kreuz über das Hüttendorf. Geschnitzt hat sie der Bildhauer Stefan Preisl aus Burglengenfeld — direkt vor Ort.
Auf der Wackerland-Bühne traten viele Künstler*innen auf. Hier die Schriftstellerin Ruth Rehmann (im Bild rechts, mit Akkordeon)
Einer der Höhepunkte von »Wackerland«: Auftritt von Gerhard Polt und der Biermöslblosn auf dem besetzten Platz im Taxöldener Forst am 06.01.1986 (nach Beginn der Rodungen)
Zuvor hatte Aloys seinen Auftritt.
Gerhard Polt und die Biermöslblosn
Am 7. Janur wurde das Hüttendorf geräumt. In der Folge kehrte sich das Verhältnis Zivilbevölkerung und uniformierte Beamte um. Die Polizei war nun überall und immer vor Ort.
Beim Faschingstreiben am 08.02.1986 gab es erneute Machtdemonstrationen der Polizei.
Es war die erste große Kundgebung nach der Räumung
mit Musik
und sinnigen Masken
Leibhaftige Pfarrer sprachen zur Menge. Hier der Geistliche Richard Salzl.
Am Rande von Demonstrationen im Wald kam es zu Diskussionen auch zwischen eher prominenten Anwesenden. Hier der Polizeipräsident Fricker aus Regensburg (links) in angespannter Diskussion mit Landrat Schuierer (rechts) und dem Landtagsabgeordneten Zierer.
Während es zunächst nur einzelne Schneisen waren, die von den Rodungsfirmen freigesägt wurden ...
... rückte eine Armada von Baumaschinen an, um mehr als hundert Hektar Wald in ein Industriegebiet zu verwandeln.
Mit einer gewissen Fassungslossigkeit standen die einen vor dem Zaun, andere sinnierten schon bei dem Einsatz der Baumaschinen, ob und wie das Ganze noch aufzuhalten sei. Und doch waren es nur gedankliche Zwischenstationen, denn die Sonntagsspaziergänge, die Fürbitten, die Gesänge am Martel, die Treffen am Roten Kreuz, die Proteste gingen weiter.
An Ostern rannten militante WAA-Gegner, der ›Schwarze Block‹, gegen den Zaum an. Was martialisch aussah, waren oft nur wilde Scharmützel oder symbolische Aktionen, doch durchaus mit der Absicht, den verhassten Zaun zu beschädigen. Die Polizei antwortete mit Wasserwerfern und CS Gas. Vor dem Zaun war der Wald in einem Streifen von gut zwanzig Metern gerodet, dahinter stand noch Wald. Steckerlwald, eine Art Fichtenplantage. Der Mann mit dem Hut hatte die Augen voller Tränen, er kam mit friedlicher Absicht, ihm war augenscheinlich und schon alleine belegt durch seine Kleidung, jegliche Gewalt fremd. Aber seine Augen brannten, weil er sich in den CS Gas-Schwaden aufgehalten hatte. Sein Gegenüber mit der Sturmhaube sorgte sich um ihn. Ob er ihm seine »Augen mit Wasser ausspülen solle«, fragte der Sturmbehaubte. »Nein«, wehrte der Mann ab, »ich möcht’ des spüren, ich will spüren, wie das ist, wie weh das tut.« Er wiederholte beharrlich: »Ich will des spüren«. Auch ein weiteres Insistieren des Vermummten half nichts. »Ich hab’ mir das nicht vorstellen können«, sagte der Mann, »dass sie das Zeug wirklich auf einen spritzen. Drum muss ich des aushalten«.
Die körperliche Unversehrtheit wurde offensichtlich von beiden Seiten vernachlässigt. Der Geruch und die Wirkung des Gases war selbst in Entfernung kaum zu ertragen. In dem Strahl zu stehen bedeutete, nicht nur dem physischen Druck des Wassers widerstehen zu müssen, sondern auch Verletzungen durch das Gas in Kauf zu nehmen.
Die Besatzung eines Wasserwerfers.
Nach gewalttätigen Ostereinsätzen kam es Anfang Mai zu erheblicher Polizeipräsenz und zum erneuten Einsatz von CS Gas, offensichtlich ohne zu berücksichtigen, wer sich vor dem Zaun versammelt. Es wurde nicht mehr zwischen Kind und Kegel, zwischen Lodenmantel und Lederjacke unterschieden. Nicht nur das Handanlegen, bereits die Anwesenheit war verwerflich, die Kanonen der Wasserwerfer nahmen alle ›Zaungäste‹ ins Visier. Schaumige Bäche einer Mischung von Wasser und CS Gas versickerten im Boden. Solche Eskalationen führten zu einer kritischen Hinterfragung der Polizeiarbeit.
Aus einem Zaun ...
... wurde eine Wallanlage,
aus einem Bauplatz eine Festung.
Salopp gesagt: Assoziationen an die erst Jahre später einsetzende Beteiligung deutscher Streitkräfte in Wüstengegenden. De facto hatten die Polizeiauftritte oftmals etwas Paramilitärisches. Dabei galt es, »nur« eine Baustelle zu schützen. Wäre das nicht die Aufgabe von Beschäftigten des Betriebsschutzes der DWK gewesen, jene Firma, die die WAA bauen wollte? Mag sein, dass der Vergleich deshalb hinkt, weil Fußballspiele ja auch von der Polizei geschützt werden.
Ortswechsel. Mutmachen, Freude und tiefes gemeinsames Empfinden ohne die Auseinandersetzungen am Zaun hingegen beim Konzert »Die Schöpfung« von Joseph Haydn unter der Leitung von David Shallon. Doch wenige Tage vorher stand das kulturelle Ereignis plötzlich auf Messers Schneide, weil sich die Regensburger Universitätsverwaltung auf Druck von höherer Stelle mit fadenscheinigen Begründungen weigerte, das fest gebuchte Audimax als Aufführungsort zur Verfügung zu stellen. Die Leitung der evangelischen Dreieinigkeitskirche sprang ein und ermöglichte die Veranstaltung. | 26.10.1986 | Dreieinigkeitskirche, Regenburg
Erneuter Ortswechsel: Trotz der starken Sicherungsanlage versuchten Unentwegte, Lücken in den angeblich einbruchsicheren Zaun zu sägen.
Doch manchmal machte die Polizei Pause
Eher nicht im Pausenmodus: Spezialeinsatzkräfte der Berliner Polizei anläßlich der Herbstaktionen | 08.10.1987
In Regensburg wurde eine geplante Bundeskonferenz von Atomkraftgegnern verboten. Die Altstadt füllte sich mit Einsatzwägen der Polizei.
Herbstaktionen: Kundgebung in Wackersdorf mit anschließendem Demonstrationszug zum Bauzaun, 10.10.1987
Viele junge Beamte und Beamtinnen wurden zu Beginn ihrer Polizeilaufbahn nach Wackersdorf geschickt — ob sie wollten oder nicht.
Je mehr Monate ins Land gingen, desto professioneller rüstet sich die Polizei aus, desto erprobter waren die Taktiken der Schutzmacht. Die Sonntagsspaziergänger*innen stießen auf martialisch ausgerüstete Polizeikohorten. Am Zaun und an allen Orten des Protests.
Es war ein Katz und Maus-Spiel, weil die Professionalität der Polizei nur die Phantasie der Gegner provozierte. Jeder Sonntagnachmittag brachte eine neue Aktion am Bauzaun. An jenem Tag wurde der Bedrohung durch aufzubereitenden Atommüll der Sperrmüll von Haushalten entgegengesetzt. (Wo das Sofa wohl letzendlich gelandet ist?)
Es schien, als hätte sich alles verhakt. Als prallten die Argumente gegen Wände. Einst dachte man, die Tatsache, dass die Bodenwöhrer Senke eines der wichtigsten Trinkwasserresvoirs der Oberpfalz darstellt, würde allein reichen, um die WAA zu verhindern. Oder die Kostenentwicklungen im Bereich ähnlicher Großprojekte: sie zeigten, wie uferlos und wie absurd das alles alleine aus ökonomischer Sicht werden würde. Oder diese Art von kleinem Bürgerkrieg. Kann das eine Regierung wirklich wollen?
An einem Sonntagmorgen im Oktober 1989 meldeten die Nachrichten, dass der bayerische Ministerpräsident Strauß zwischen Leben und Tod schwebte, weil er tags zuvor bei einem Jagdausflug in einem sehr einsamen Waldstück des Fürsten von Thurn und Taxis zusammen gebrochen sei. Am nächsten Tag verschied er.
Wenn es einen Politiker gab, für den die Realisierung des sogenannten atomaren Brennstoffkreislaufs innerer Antrieb war, dann war es Franz Josef Strauß. Es hieß, er würde die Militarisierung der Republik betreiben und von seinen Plänen, Deutschland mit Atomwaffen auszustatten, musste man nicht munkeln, denn viele Indizien deuteten darauf hin. Es gab Stimmen, die behaupteten, Strauß wäre regelrecht besessen davon, die sogenannte friedliche Atomenergie mit der militärischen zu fusionieren. Und er wirkte stets als einer, der es den anderen Ministerpräsidenten zeigte. Strauß war kein Albrecht, der zugäbe, ein Projekt sei politisch nicht durchsetzbar.
Im Lauf der folgenden Monate entschied sich das Wichtigste nicht mehr am Bauzaun, sondern in den Konferenzetagen großer Konzerne. Das Düsseldorfer Energie-Unternehmen VEBA als wichtiger Anteilseigner der DWK gab am 11.04.1989 bekannt, eine Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Wiederaufbereitung mit der französischen Nukleargesellschaft COGEMA zu planen. Die DWK (Deutsche Gesellschaft für die Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen) war die Bauherrin der Anlage. Am 31.05.1989 wurde der endgültige Baustopp verkündet. Das Projekt ›WAA in der Oberpfalz‹ war Geschichte.
Bald wurden auf dem sehr teuer erschlossenen Gebiet der einstigen WWA-Baustelle Autos gebaut und viele weitere non-nukleare Firmen siedelten sich an. Die große Lagerhalle für Brennelemente wurde umgewidmet. In manchen Familien der Region heilte der Hausfrieden, der im Zuge der Auseinandersetzungen zerbrach. Andere soziale Beziehungen waren nicht mehr zu kitten — Angehörige und Verwandte blieben, wenn nicht verfeindet, so doch Gegner. Der Hass wird verflogen sein, weil Zeit Wunden heilt. Manche Erinnerungen bleiben.
Fast dreißig Jahre später wird in den Kinos der Republik ein Spielfilm gezeigt, der einen der Hauptprotagonisten des Widerstands, den Schwandorfer Landrat Schuierer, nachzeichnet. Dennoch sind die Geschehnisse eines Jahrzehnts der Auseinandersetzungen weitgehend verblasst, ebenso wie absolute Mehrheiten in der Politik kaum mehr errungen werden. Es sind politische Initiativen enstanden und Parteien, mit denen eine Rückkehr zum Atomstaat nicht denkbar ist.
Und — weil die WAA-Gegner oft gefragt wurden, woher sie den Strom nehmen würden, wenn nicht aus dem Atomkraftwerk — war Wackersdorf Auslöser für eine Reihe von Unternehmensgründungen, erneuerbare Energien wie Sonne und Wind zu entwickeln, um damit die Republik zu versorgen. Es dehnt sich der Bogen zurück in die Anfangszeit der Auseinandersetzungen, als Robert Jungk bei der Auftaktkundgebung einer Demonstration vor der Mehrzweckhalle Schwandorf rief: »Macht aus der Oberpfalz ene Sonnenpfalz!«