Schon in der Antike gab es Wanderungen von Hirten und Schafherden in den Abruzzen. Im Sommer weideten die Tiere auf den Bergwiesen, im Herbst zogen sie auf den Tratturi nach Apulien und blieben dort bis ins späte Frühjahr. Nach dem zweiten Weltkrieg verschwand diese sozioökonomische und kulturelle Aktivität, die ursprünglich bis in die Epoche Italiker zurückreicht.
In Spitzenzeiten waren es über drei Millionen Schafe, die im Oktober die Strecke nach Apulien und im Juni zurück in die Abruzzen zogen. Diese Transumanza orizzontale von den Abruzzen nach Apulien und wieder zurück ist Geschichte, erhalten hat sich die Transumanza verticale, die aus den Dörfern auf die umliegenden Bergweiden stattfindet.
Noch heute arbeiten in den Bergen der Abruzzen nicht wenige Menschen unter Bedingungen, wie sie seit jeher durch Natur und Traditionen vorgegeben werden. Der Bogen spannt sich weit: An den meisten Orten sind es bewegende, oft außergewöhnliche Biografien der Schäfer und ihrer Frauen, anderswo sprechen die Produkte für sich – die Morphologie des Landes zeigt viele alte Muster, die durch die Transumanza entstanden sind.
Die Transumanza schrieb eine abwechslungsreiche Geschichte, die Schäferkultur beeinflusste und prägte Leben, Wirtschaft und Kultur vieler Generationen. Mitte des vergangenen Jahrhunderts ging diese Tradition zu Ende, doch in der Berglandschaft der Abruzzen ist sie noch heute spürbar. Landschaft, Literatur, Musik, Handwerk und Brauchtum bewahren das Erbe der Jahrhunderte alten Schäferkultur. Wir Mitteleuropäer können die sozialen und kulturellen Dimensionen der Transumanza in Mittelitalien nur schwer ermessen – und doch berührt es uns, weil ähnliche Wanderungsbewegungen von Hirten und Tieren auch bei uns stattfanden und stattfinden.
Gregorio Rotolo
Einer der bekanntesten und engagiertesten Schäfer der Abruzzen. Sein Betrieb in einem Seitental (dem Valle Scannese) von Scanno umfasst 1500 Schafe, 120 Rinder und einen Agriturismo mit Restaurant und Gästezimmern. Gregorio ist ein argumentationsstarker und leidenschaftlicher Kämpfer für die Rechte der Schäfer und eine naturgemäße Bewirtschaftung der Weideflächen. Seine Familie ist trotz des Namens, der auf Wurzeln in Sizilien hinweist, eine der alt eingesessenen Familien des Ortes Scanno. Sein von Slowfood ausgezeichneter Käse „Gregoriano“ ist ein Begriff in den Abruzzen.
Manuela Cozzi
Ursprünglich aus Prato in der Toskana stammende Biologin, die im Rahmen ihres Studiums in den Abruzzen über Wiesenwildkräuter forschte und blieb. Sie leitet den Agriturismo „La Porta dei Parchi“ in Anversa degli Abruzzi und ist stolz auf den Kosenamen „La Donna delle pecore“. Manuela Cozzi hat zwei Kinder.
Isidoro Mastrogiovanni
Schäfer aus Scanno, Jahrgang 1952, verheiratet, zwei Kinder. Er hütet seine 150 Schafe, zwei Pferde und etwa 15 Ziegen zwischen dem Passo Godi und Ferroio. Alljährlich im Juli treibt er die Tiere von Scanno (1000 m) hinauf in die einsame Gegend des Ziomasso (1500 m), wo er den Sommer über in einer Alm lebt und arbeitet. Ende Oktober verlässt er die Gebirgsweiden, um den Winter zuhause im Dorf zu verbringen.
Mirko DiFrancesco
Juniorchef einer großen Schäferei aus Serramonacesca, die ihre 1400 Schafe im Sommer auf den Hängen der Majeletta an den Nordhängen des Majella-Gebirges weiden lässt. Die Wiesen liegen etwa auf 1500 bis 2000 Meter Höhe. Der Hütehund ist einer von derzeit sieben Tieren, mit denen Mirko und seine Hirten arbeiten. Ihr Fell erinnert nicht nur an Schafe, sondern diese Hunderasse lebt fast symbiotisch mit Schafen. Sie werden in den Bergen inmitten der Herden geboren, wachsen dort auf und werden wegen ihrer Kräfte geschätzt.
BEDRI MEMEDI
Hirte aus Mazedonien. Er hütet die Schafe der Familie Di Francesco im Majella-Gebirge.
Vittoria DiFrancesco
lebt in Serramonacesca und ist Käserin, Betriebsleiterin, Mutter, Ehefrau. Täglich kommt aus den Bergen die frisch gemolkene Milch der Schafe und drei Mal die Woche wird in den großen Bottichen der Käserei »La tua Fattoria« frischer Pecorino angesetzt.
NUNZIO MARCELLI
Geboren in Anversa degli Abruzzi und eigentlich nicht aus einer landwirtschaftlichen Familie stammend. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft war ihm klar, dass Arbeit mit Schafen im Bergland nur Zukunft hat, wenn sie nach moderneren Gesichtspunkten betrieben wird. Das reizte ihn, Unternehmer zu werden. Er züchtet nicht nur Schafe, verkauft nicht nur Fleisch, Käse und Wolle, wie das früher ausschließlich der Fall war, sondern stellt auch Würste und Schinken von Lämmern und Schafen her, betreibt Umwelterziehung mit Schulklassen und Jugendgruppen und führt ein Gasthaus mit Gästezimmern. Seine Geschäftsidee „Adoptiere ein Schaf“ (oder: zahle für eine jährliche Patenschaft und erhalte dafür einen Korb mit Produkten deines Tieres) wurde in der New York Times beschrieben und fand Kunden bis nach Australien (!). Seine 1400 Schafe werden im Sommer auf die Hochweiden de Valle Chiarana getrieben – eine klassische »Transumanza verticale«. Nunzio ist verheiratet und hat drei Kinder.
Schafe auf dem Campo Imperatore im Gran Sasso-Gebirge.
Schäfer im Scanno-Gebiet.
Hirte bei Pescasseroli