DIE MUTTER DES WALDES: DIE BUCHE
Die Alten Buchenwälder, Überreste der Urwälder, sind eine von der UNESCO als schützenswert anerkannte Stätte des Weltnaturerbes. Diese alten Wälder zählen mit ihrer Biodiversität zu den äußerst naturbelassenen Orten, in die der Mensch nicht eingegriffen hat und wo die Bäume ihren natürlichen Lebenskreislauf vollenden und dabei das höchstmögliche Alter und die größtmögliche Höhe erreichen.
Italien wurde in das mehrere Länder umfassende Netz mit 10 Teilgebieten aufgenommen, jeder Alte Buchenwald wurde dabei aufgrund seiner biologischen und ökologischen Einzigartigkeit ausgewählt.
Die von der UNESCO ausgezeichneten Buchenwälder des Nationalparks der Abruzzen sind jene des ›Val Cervara‹ in Villavallelonga, ›Moricento‹ in Lecce nei Marsi, ›Coppo del Morto‹ und ›Coppo del Principe‹ in Pescasseroli sowie ›Cacciagrande‹ in Opi. Auf einer Fläche von über 1.000 Hektar erstrecken sich einige der bedeutendsten Buchenwälder Europas mit einer reichhaltigen Flora und Fauna. Im Buchenwald des Val Cervara stehen auf einer Seehöhe zwischen 1600 m und 1850 m Exemplare, die bis zu 560 Jahre alt sind und somit nicht nur die ältesten Europas, sondern der ganzen Nordhalbkugel sind.
(Zitiert aus: Die Alten Buchenwälder, Italia.it, UNESCO-Stätten / Foto: Altbuche oberhalb des Lago Vivo im Abruzzen Nationalpark. Siehe dazu die Bildreihe am Ende dieser Serie)
Bosco S. Antonio | Der frühere Hutewald präsentiert sich in einigen Bereichen parkähnlich.
Eine magische Zone: Das Valle Cervara. Um einen sehr steilen seitlichen Einschnitt in einem lang gezogenen und schließlich drastisch ansteigenden Kerbtal gruppiert sich der Bestand uralter Buchenbäume, die zu den ältesten in Europa gehören. Das Areal ist aufgrund der topografischen Merkmale nahezu unzugänglich.
Valle Longa
Buchen-Schleimrübling Mucidula mucida oder Oudemansiella mucida (ital.: Fungo di Porcellana)
Der Pilz wächst saprobiontisch* oder parasitisch auf Ästen oder Stämmen der Rotbuche, seltener an anderen Laubbäumen, er kommt vor allem im Bergland vor. Die Art ist in Europa und Asien verbreitet, besonders im Areal der Buchen in der ozeanisch beeinflussten, gemäßigten Zone. (*Er ernährt sich von totem organischen Material.)
Vergehende Buche mit Bart- und Lungenflechten
mit Lungen-, Bartflechten und Moosgamasche
Val Cavuto
Der Abruzzen-Nationalpark ist ein wahres Paradies wilder Natur, er befindet sich im Herzen des zentralen Apennin und ist die bedeutendste Oase der Natur im gesamten Apennin. Besonders berühmt ist der Abruzzen-Nationalpark wegen seiner dichten Wälder, die stellenweise Hochwald, gelegentlich aber auch verkrüppelt sind und einen dichten Filz von Stämmen, Ästen, Laub, Unterholz und Schlingpflanzen bilden. Im Gipfelbereich der Berge gedeiht der Wald in seiner ganzen Erhabenheit. Er wird von der Buche beherrscht, die im Nationalpark von unverwechselbar hohem Wuchs ist und in ihrem sonstigen Aussehen ungeheuer vielseitig sein kann. Man findet plumpe, mehrere Jahrhunderte alte Kolosse. Diese wechseln mit scheinbar jungen und kümmerlichen Exemplaren ab, wo nie eine menschliche Hand eingegriffen hat und die als Totholz einer Vielzahl von Arten Lebensraum geben. (Nach Franco Tassi)
Im Wald ist man allein, aber niemals wirklich allein, überall gibt es ein Auge, das einen belauert.
Dacia Maraini, Gefrorene Träume
Nähe Sorgente puzza
Oberhalb des Lago Vivo wachsen die Buchen aus den Karstspalten (auch folgende)
Mein Wald, mein Leben
Ich sah den Wald im Sonnenglanz,
Vom Abendrot beleuchtet,
Belebt von düstrer Nebel Tanz,
Vom Morgentau befeuchtet:
Stets blieb er ernst, stets blieb er schön,
Und stets mußt’ ich ihn lieben.
Die Freud‘ an ihm bleibt mir besteh’n,
Die andern all zerstieben.
Ich sah den Wald im Sturmgebraus,
Vom Winter tief umnachtet,
Die Tannen sein in wirrem Graus,
Vom Nord dahingeschlachtet;
Und lieben mußt’ ich ihn noch mehr,
Ihn meiden könnt’ ich nimmer.
Schön ist er, düsterschön und hehr,
Und Heimat bleibt er immer.
Ich sah mit hellen Augen ihn,
Und auch mit tränenvollen;
Bald hob er meinen frohen Sinn,
Bald sänftigt’ er mein Grollen.
In Sommersglut, in Winterfrost, –
Konnt’ er mir mehr nicht geben, –
So gab er meinem Herzen Trost;
Und drum: Mein Wald, mein Leben!
Emerenz Meier
Valle del Inferno (auch folgende)
Nähe Forca Resuni
»Eine langgestreckte Lichtung, rings gesäumt von Buchen, deren Stämme wie mächtige Säulen
aufragten und ein Gewölbe aus ineinander verflochtenen Ästen trugen.«
Patrick Leigh Fermor
Nähe Monte Marcolano
Val Cervara, unterer Bereich
Georg Meister und Monika Offenberger verweisen in ihrem Buch »Die Zeit des Waldes« auf den Beitrag von Dauerwäldern für das globale Klima. Die CO2-Bilanz wird demnach nicht nur durch den Holzgehalt, sondern auch durch die Humusbildung verbessert. Je mehr Laub, Reisig und totes Holz belassen wird, desto mehr Humus entsteht, welcher CO2 speichert. Bekannt ist dies durch Messungen im thüringischen Nationalpark Hainich und durch Forschungen ›in einem naturnahen Wald bei Collelongo‹ (gemeint ist der hier gezeigte und beschriebene Buchenwald im Val Cervara).
Val Cervara, oberer Bereich (auch nachfolgende)
Oberhalb des Lago Vivo | Bildreihe: »Sterbender Baum voller Leben«, aufgenommen im Abstand mehrerer Jahre und aus unterschiedlichen Perspektiven.
Variation im Val Cavuto (auch folgende)
Kleine Hommage an den Forstmann, Naturschützer und Umweltpädagogen Nick Fritsch, der die Welt mit ihren Buchenwäldern im September 2020 verließ
Es war bei dieser Wanderung, das Val Fondillo hinauf zum Bärenpass und später wieder hinab ins Valle Tre Confini, als wir unter einem großen Baum stehen blieben und er erzählend ausholte. Über die Buche sprach er, ihre Ökologie, ihre Botanik, ihre Rolle im Netzwerk des Waldlebens und über das Denken in Baumzeitaltern. Wir Menschen lebten zur Zeit im Buchenzeitalter. Ließen wir in Europa den Wald wachsen, ohne uns einzumischen, entstünde ein Buchenwald. Weil die Buche die schnellste, die stärkste, die widerstandsfähigste Baumart sei? Eigentlich nicht, eher, weil die Buche alle Qualifikationen besäße, sich zu behaupten. Und er schilderte es allegorisch: Wäre die Buche eine Zehnkämpferin, würde sie in keiner Disziplin gewinnen, am Ende aber doch den Sieg davon tragen. Ansprüche eines optimalen Mittelmaßes also, wenn wir ihre Ansprüche an Wasserhaushalt und Standort, ihre Wurzelform, ihr Lichtbedürfnis, Alter und Wachstum, Verjüngungsqualifikation und Verdrändungsfreudigkeit betrachten.
Ein Jahr später saßen wir in der Majella an der Tavola dei Briganti und es war wieder Zeit für eine seiner Ausführungen. An sich ging es ›nur‹ um Ovid, der, bevor er zum Römer wurde, Peligner war, weil er aus der Gegend gleich in der Nähe stammte. Sulmona ist nicht weit, die Stadt liegt unterhalb der Morrone-Berge und Ovids Satz »Sulmo mihi patria est« belegt die Herkunft des großen Dichters. An ausgesuchten Plätzen, wie der Ort zwischen dem Monte Cavallo und dem Focalone-Berg in der Majella einer ist, lasen wir ›Philemon und Baucis‹ oder ›Die Schöpfung‹ aus den Metamorphosen. Nick illustrierte zur Einführung das Leben in Rom. Thematisierte Caesar, die Senatoren, Kleopatras Anreise und die angeblich große Nase Ovids, führte aus, warum Augustus den Autor der ›Liebeskunst‹ und der ›Liebeselegien‹ nicht leiden mochte, ihn ans schwarze Meer zu den ›Barbaren‹ verstieß und schließlich der Nachfolger des Imperators zu ungnädig war, den Exilierten wieder heim nach Rom kehren zu lassen.
Nick war ein ebenso kluger wie vergnüglicher Geist, reich an Wissen wie Tugenden und mit der Fähigkeit ausgezeichnet, spannend zu erzählen. So bescherte er uns unvergessliche Vorlesungen einer speziellen Art Sommerakademie in den abruzzesischen Bergen.
Buchenrinde an vergehendem Baum
Farben der Vergänglichkeit
Mittagslicht, Silberlicht
Dennoch hängt all das an einem seidenen Faden
oder, seien wir optimistisch, vielleicht an zweien.