Kamm von Nord nach Süd: Links der Monte Blockhaus (nicht mehr im Bild), in der Mitte der Monte Cavallo. Unterhalb das Dunkel des Val Orfento, seine nördlichen und südlichen Flanken, darüber das Gipfelmassiv.
Ein seltsam schöner Aufstieg zum Gipfelkamm geht vom Guado di Sant’Antonio aus. Du trittst auf Wiesenboden, der sich wie eine Schleppe, wie ein Umhang hinaufzieht und spürst bereits nach wenigen Metern, dass du den steinernen Kragen und seine alles überragenden Häupter erst nach zwölfachtel Mühsal erreichen wirst. Wenn die Rotbuchen in Kiefernlatschen übergehen, wenn der Stein den Rasen aufreißt. Am Pescofalcone wirst du dir die weitere Route überlegen müssen. Zum Monte Amaro, der nicht weit ist? Um das gesamte Val Orfento herum, hinüber auf den Focalone, vorher zwei, drei weitere Pyramiden umrunden, neben dir der Aquaviva, unter dir der Kalkschotter, den jeder Tritt zum Brechen und Knirschen bringt? Dann wieder hinunter zur Tavola dei Briganti, wieder hinauf zum Cavallo, den langen Grat zwischen den Latschen entlang zum Monte Blockhaus, rechts der Vallone delle tre grotte, links das Orfento-Tal, dann noch zwei, drei Kilometer bis zum Rifugio Bruno Pomillo mit Sicht über halb Mittelitalien und bis zur Adria? Steh früh auf, pack viel Wasser ein und rechne damit, dass du den Weg mit dir selbst ausmachen musst. Geh nur bei sicher schönem Wetter und warte nicht darauf, dass Lerchen dich aufmuntern. Auf dem Rücken von Walfischen haben unsere gefiederten Freunde nichts verloren.
Drei Bergzüge treffen sich. Die Schlucht von Popoli quetscht sich durch den Ausläufer des Gran Sasso und den Abbruch des Morrone. Vom Meer her kommend führt die weitere Route nun in den Apennin hinein, an den Quellen der Pescara vorbei, nach Sulmona. Umgekehrt wartet nach der Schlucht, wartet rechts hinter Tocca Casaurea die Majella. Hochgebirge, fast dreitausend Meter. Riesig, lang, weiche Flanken im Westen, vertikale Wände im Osten. Hochgebirge? Du wähntest dich im Küstenvorland und liegst richtig und falsch zugleich.
Riffe. Gebirgszüge. Bergrücken. Das Land gliedert sich zwischen der Majella und dem Sirente.
Es bedarf nur einer Furt, eines Transits
und der Entscheidung, der Sonne entgegen zu gehen.
In Tocca da Casaurea steht eine mächtige Steineiche auf der Piazza und um die Ecke gab es einen Eissalon, der das beste Malaga-Eis anbot. Selbstgemacht. Irgendwann war es vorbei mit dieser Herrlichkeit. Der Familienbetrieb schaffte es nicht mehr, die viele Arbeit zu leisten und somit die Qualität seines wesentlichen Produkts zu halten. Er nahm Markeneis in sein Sortiment auf, eingepackt in Papier, anzufassen am hölzernen Steckerl. Was soll’s? Wer versteht es nicht, dass dann und wann ein Nebenerwerb dem Haupterwerb weichen muss. Aber auf der Piazza lebt ein feiner Kerl, der uns in seinen dunklen Lagerraum einlud, Wein und Kaffee anbot und als wir gehen wollten, uns zweien jeweils einen Silberdollar schenkte. Unglaublich, oder? Und jene Piazza ist zweistöckig. Dem Ort ist, wie man heute sagt, eine ganz besondere Aura eigen. Zudem ist einer der wichtigsten Maler der Abruzzen hier geboren. Francesco Paolo Michetti, der seinerzeit das Bühnenbild für Gabriele d’Annunzios Theaterstück ›La figlia di Iorio‹ geschaffen hat. Tusch.
2007 war ein schlimmes Jahr, weil es im Mittelmeerraum an vielen Stellen brannte. Auch in den Abruzzen zündeten Kriminelle Wald und Wiesen an, spielten Feuerteufel, tobten ihren Hass auf die Natur aus. Oberhalb des Valle Santo Spirito, da, wo das Tal nach oben hin ausläuft, wo links der Colle della Civita steht, waren die Weiden ganz schwarz. Ich fuhr die Gegend ab, um die Verwüstung zu dokumentieren. Da bildete sich über der Majella, der Montagna madre, eine dramatisch schöne weiße Wolkenmasse, schwang sich zauberhaft über die Berge, wurde weggeweht und blieb doch liegen. Sie waberte über der mütterlichen Bergwelt. Wie eine Art Entschädigung. Es waren ja nur wenige, die zündelten und viele, die litten.
Eines der vielen fast aufgegebenen Dörfer. Höher gelegen als Tocca Casaurea, aber dennoch nicht recht viel schwerer zu erreichen. Die Felsformation, auf der der vordere Teil des Ortes lastet, trägt natürlich kein Gütesiegel für solide Grundstrukturen. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Andererseits, ganz in der Nähe liegt das verlassene Corvara. Dagegen brummt in Pescosansonesco das Leben.
Von Pescosansonesco zum Morrone.