Vielleicht lag es am Regen, der im Juli endlich auch Mittelitalien überzog. In Deutschland spielten sich zu gleicher Zeit fürchterliche Dramen ab, doch etliche Besorgnisstufen und Breitengrade tiefer hatte unser Olivenbauer Tommaso Masciantonio bereits am Dienstag sorgenvoll in den schwülen Himmel geblickt und auf die angekündigten Niederschläge gehofft. Dann zogen am Freitag dunkle Wolken über den Apennin, stießen an die Berggipfel, verhüllten sie und am Samstag lag eine graue, feuchte Wolkendecke über dem Land. Es regnete. Ich saß mit Enrico in dessen wunderbaren Fiat-Panda, unterwegs, um Schäfer auf dem Campo Imperatore zu fotografieren. Der Juli ist die Zeit, in der alle Schafherden auf den riesigen Weideflächen der Abruzzen angekommen sind. Schäfer waren jedoch keine zu entdecken. »Wir schauen nach Hunden«, sagte Enrico, »wo Hunde sind, sind auch Schafe«. In der Hügellandschaft nahe des Monte Bolza wusste Enrico einen Schäfer und als er das klapprige Gefährt über eine Kuppe fuhr, hatten wir Glück. »Da ist einer seiner Hunde, direkt vor uns am Weg«. Wir fuhren die marode Strada bianca noch ein Stück weiter, da entpuppte sich der vermeintliche Hund als Wolf. Seelenruhig stand er zwischen den blühenden Königskerzen, suchend, die Nase tief am Boden. »Fahr langsam Enrico, fahr ganz langsam«. Wir näherten uns dem Wolfsrüden bis auf etwa 100 Meter. Das Tier lies sich durch uns nicht stören, zog ein wenig oberhalb unserer Piste seine Bahn und ich wusste, wir würden im Auto sitzen bleiben, wollten wir ihn nicht verjagen. Es waren berührende fünf Minuten, in denen wir die Natur der Gran Sasso-Bergwelt noch intensiver erlebten als sonst. Das Wetter sorgte dafür, dass die Hochebene fast frei von Touristen war, unser Autotyp war dem Wolf, wie es schien, vertraut. Enrico strahlte, ich fotografierte (und strahlte innerlich), der Regen wurde von Minute zu Minute stärker, der Wolf zog davon und wir wussten beide, dass der Tag nun nicht mehr davon abhing, noch Schäfer zu treffen.